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Theoretisches
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son-02-03.htm; 04.2002

Maßstabsgeschwindigkeit
vorbildgetreuer Segelschiffsmodelle

Aufsatz von Borek Dvořák

(Alle Bilder und Zeichnungen lassen sich durch
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son-02-03-b01.gifOftmals bin ich schon mit der Meinung konfrontiert worden, daß vorbildgetreue ferngesteuerte Modelle historischer Segelschiffe im Allgemeinen viel zu schnell segeln, und daß etwas weniger "Fahrt" einem vorbildgetreuen Fahrbild dienlich und daher auch wünschenswert wäre. Hand in Hand mit dieser Behauptung geht manchmal auch die Kritik von Kunstfaser-Segeltüchern, Bleibomben in Stromlinienform, reibungsarmen Schotdurchführungen und anderen "Tricks", die (zugegebenerweise) zudem in den meisten Fällen einer vorbildgetreuen Optik des Modells nicht besonders zuträglich sind.

Diese Maßnahmen sollen angeblich die Modellgeschwindigkeit vorbildwidrig erhöhen. Lange Zeit betrachtete ich diese Meinungen als rein subjektiv und habe sie nicht ernst genommen, zumal ich mich für klassische (Renn-)Yachten und schnelle Berufsfahrzeuge interessiere. Vor kurzer Zeit habe ich aber eine E-Mail erhalten, in der sich Willi Pülmanns mit diesem Thema auseinandersetzte. Sein Gedanke bestand darin, daß ein maßstäblich schnell segelndes Modell den Weg, der seiner Wasserlinienlänge entspricht, in der gleichen Zeit durchfahren muß, die das Vorbild zum Zurücklegen des seiner Wasserlinienlänge entsprechenden Weges benötigt. Bild 1

Also, ein linearer Geschwindigkeitsvergleich über den Maßstab, ähnlich wie es bei den Modelleisenbahnloks praktiziert wird. Diese Theorie hat mich dazu bewegt, mich unter Zuhilfenahme einiger Fachbücher auch mit dem Thema zu befassen, zumal ich von Anfang an den Verdacht hatte, daß das so einfach nicht sein kann.

son-02-03-b02.gifBevor man sich Gedanken darüber macht, ob das gegebene Modell zu schnell oder zu langsam segelt, sollte man generell den Begriff "Geschwindigkeit" unter die Lupe nehmen. Nur als Gedankenstütze sei hier die allgemein bekannte Formel für die Geschwindigkeit

form-01.gif

aufgeführt. Unter dem Begriff Geschwindigkeit versteht man also den in einer Zeiteinheit zurückgelegten Weg. Bezogen auf Segelschiffe kann die Geschwindigkeit zwischen Null und einem individuellen Maximum (der Rumpfgeschwindigkeit) variieren. Vom ganzen Geschwindigkeitsspektrum ist neben dem Stillstand (Nullgeschwindigkeit) gerade die Rumpfgeschwindigkeit der einzig greifbare Wert, den man exakt untersuchen kann. Sie wird als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit einer Welle definiert, deren Länge der (dynamischen) Wasserlinienlänge des zu untersuchenden Segelbootes entspricht, und stellt gleichzeitig eine Art Schallmauer im Wasser dar, die nur durch den Übergang ins Gleiten durchbrochen werden kann. Die Rumpfgeschwindigkeit kann nach folgender Formel errechnet werden:

form-02.gif
vs - Rumpfgeschwindigkeit
K - Konstante (K = 1,25)
LWL - Wasserlinienlänge

Eine Wurzel kann man als Potenz mit einem Bruch als Exponenten darstellen (Wurzel aus LWL = (LWL)1/2). Auf den ersten Blick fällt auf, daß man es hier mit einer exponentialen Abhängigkeit der theoretisch erreichbaren Maximalgeschwindigkeit (Rumpfgeschwindigkeit) von der Größe (Wasserlinienlänge) des Schiffes zu tun hat, die über den Maßstab nicht einfach linear umrechenbar ist. Bild 2

son-02-03-b03.gifNoch deutlicher zeigt dies ein Beispiel. Ein Schiff mit LWL = 25 m (entspricht etwa der J-Klasse) hat eine Rumpfgeschwindigkeit von 6,25 m/s, bei der es in der Lage ist, den seiner LWL entsprechenden Weg in 4 Sekunden zurückzulegen. Ein Modell dieses Schiffes im Maßstab 1:20 (LWL = 1,25 m) erreicht eine Rumpfgeschwindigkeit von 1,4 m/s. Die zum Zurücklegen des der LWL entsprechenden Weges benötigte Zeit beträgt 0,89 Sekunden. Nach Willis "linearen Theorie" müßte die Rumpfgeschwindigkeit aber bereits schon bei 0,3125 m/s erreicht werden (Rumpfgeschwindigkeit des Vorbildes 6,25 m/s dividiert durch den Maßstab), was natürlich nicht möglich ist. Bild 3

Die Abhängigkeit der Rumpfgeschwindigkeit des Modells von der des Vorbildes kann nun allgemein wie folgt ausgedrückt werden (M = Maßstab):

form-03.gif
form-04.gif

Gemäß der weiter oben aufgeführten Formel kann abschließend festgestellt werden:

form-05.gif
oder
form-06.gif

Mit Worten ausgedrückt:
Die Rumpfgeschwindigkeit eines Modellsegelbootes errechnet sich aus der Division der Rumpfgeschwindigkeit seines Vorbildes durch die Quadratwurzel des Maßstabs.

Man sieht also, daß zumindest in den beiden Endlagen der Geschwindigkeitsskala (Null bleibt Null, egal in welchem Maßstab man sie "nachbaut" - sprich: wodurch man sie dividiert) das Problem der unmaßstäblichen Geschwindigkeit gar nicht existiert. Hier spielen die Naturgesetze ausnahmsweise mit, und der Modellbauer braucht sich um nichts zu kümmern.
Wie sieht es aber bei anderen Geschwindigkeitswerten aus? Ohne mich mit alten Segelbooten (d.h. etwa vor 1850) besonders gut auszukennen, behaupte ich vorsichtig, daß kaum ein Segelboot seine Rumpfgeschwindigkeit je erreicht hat.
Das gilt natürlich auch für sehr große Schiffe. Die zum Erreichen der Rumpfgeschwindigkeit erforderliche Energiemenge konnte durch die damals noch nicht besonders effizienten Riggs nicht erbracht werden, und der Widerstand der oftmals recht plumpen Rümpfe war erheblich.
Die Zwecke, für die diese Boote gebaut wurden, waren auch meistens andere, als mit einem Affenzahn durch die Gewässer zu düsen (trotzdem war aber sicherlich niemand böse, wenn er schneller an sein Ziel gelangte und dadurch irgendwelche Vorteile für sich erzielen konnte - mehr Geschwindigkeit war mit Sicherheit schon immer erwünscht).


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Bild 5
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Bild 6

Vergleicht man nun ein beliebiges vorbildähnliches Modellsegelboot mit seinem Vorbild und ihre Einsatzbedingungen, stellt man folgende gesetzmäßigen Unterschiede fest:

Fazit:
Sämtliche Modellsegelboote segeln objektiv langsamer, als es maßstäblich ihren Vorbildern entsprechen würde.

Bleikiele in Stromlinienform, kugelgelagerte Blöcke, Polyamid- und Polyestertücher und anderer Schnickschnack werden nicht etwa zur Erhöhung der Geschwindigkeit vorgesehen (bei der Rumpfgeschwindigkeit wird ja sowieso das Ende der Fahnenstange erreicht), sondern helfen einem Modell durch Minimieren der Verluste / Widerstände, seine (gesetzmäßig miserable) Effizienz etwas zu erhöhen und selbst die schwächste Luftströmung in Fahrt umzusetzen.

Allerdings hat die Medaille außer der objektiven auch eine subjektive Seite, die eher der eingangs erwähnten Betrachtungsweise von Willi entspricht. Damit die Geschwindigkeit eines Schiffsmodells vom menschlichen Auge als "maßstäblich" bzw. angemessen wahrgenommen werden kann, muß die sog. Durchgangsgeschwindigkeit (= die Geschwindigkeit, die ein Fahrzeug braucht, um seine Länge zu durchfahren) des Modells stimmen. Wie Willi bei einer Rückfrage bei der Schiffsbauversuchsanstalt in Duisburg erfuhr, bereitete dieses Phänomen auch im Film "Das Boot" Probleme. Bei den mit einem Modell gemachten Außenaufnahmen stimmte entweder das Wellenbild und damit auch die (objektiv richtige) Geschwindigkeit oder paßte die Optik. Beides war einfach nicht gleichzeitig unter einen Hut zu kriegen. Die Lösung: Die Fahraufnahmen wurden mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufgenommen und im Film dann mit normaler Geschwindigkeit abgespielt, in Zeitlupe also. So stimmte dann beides.

Man kann sich nun sicherlich auch als Modellbauer eher an der eigenen subjektiven Wahrnehmung orientieren, obwohl sie von einer optischen Täuschung geprägt wird und physikalisch nicht richtig ist.

Die Bilder 1, 2 und 3 sollen nicht nur das zum Geschwindigkeitsproblem Gesagte verdeutlichen, sondern bilden gleichzeitig einen Ausgangspunkt für weitere Überlegungen in Bezug auf die Auslegung und das Steuern eines Segelschiffsmodells (siehe auch mein Beitrag "Das Spiel mit dem Wind" in der ModellWerft 1/2000 und 2/2000). Mit zunehmender Geschwindigkeit verteilt sich die Lateralfläche längsschiffs anders als bei Stillstand oder bei relativ langsamer Fahrt. Das Heck des Schiffes wird zunehmend vom Wasser benetzt, und mittschiffs entsteht ein Wellental. Dadurch bedingt verlagert sich der Lateralschwerpunkt weiter achtern, wobei der Segeldruckpunkt von diesen Tatsachen unbetroffen seine alte Position behält. Das normalerweise leicht luvgierig getrimmte Modell verhält sich plötzlich neutral, im Extrem sogar leicht leegierig. Am Steuerknüppel des Senders äußert sich dieser Zustand durch ein regelrecht schwammiges Gefühl - das Boot liegt nicht mehr so satt am Ruder wie gewohnt, und der Ruderausschlag will plötzlich ganz anders dosiert werden. Beim Erreichen der Rumpfgeschwindigkeit hat man oftmals das Gefühl, ein völlig anderes Modell zu steuern.

son-02-03-b04.gif Weiterhin können die Bilder hilfreich bei der Modellauswahl sein. Wer z.B. in der neuen Naviga-Klasse NSS (Naviga Scale Sail) vorn mitmischen will oder aus sonstigen Gründen bei einer Regatta mit seinem vorbildähnlichen Modellsegelboot konkurrenzfähig sein möchte, der braucht ein bei jedem Wetter schnelles Modell mit einem möglichst niedrigen Rennwert (R kleiner 1,00).

Diese Forderung erfüllen Boote mit langen Überhängen nahezu ideal. Bei Leichtwind schwimmt solch ein Boot wie ein Korken auf dem Wasser, seine benetzte Oberfläche und somit auch sein Widerstand sind gering, und jeder kleinste Windhauch kann gut in Fahrt umgesetzt werden. Bei starkem Wind und Wellen bewirken die Überhänge eine Verlängerung der Wasserlinie (vergleiche Bilder 1 und 3) und somit auch eine Erhöhung der theoretisch erreichbaren Rumpfgeschwindigkeit. Der Reserveauftrieb im Heck und insbesondere im Bug macht sich durch eine Erhöhung der Seefestigkeit und der allgemein besseren Stabilität bei schwerem Wetter auch positiv bemerkbar Bild 4.

Die Sonderklassenyacht "Bibelot" wurde 1910 nach dem Entwurf des genialen Yachtkonstrukteurs Nathanael Herreshoff gebaut und war eine der erfolgreichsten ihrer Klasse. Sie war zwar nicht besonders gut an der Kreuz, auf raumen Kursen hob sie aber die Nase aus dem Wasser und segelte halb gleitend in rauschender Fahrt dem restlichen Regattafeld davon. Das Problematische an einer eventuellen Modellumsetzung wäre sicherlich das Gewicht. Im Maßstab 1:10 dürfte das Modell der "Bibelot" bei einer Rumpflänge von knapp 1200 mm und einer Segelfläche von 0,52 m2 nur ca.1,5 bis 2 kg verdrängen, in 1:8 wären es 1457 mm Rumpflänge, 0,81 m2 Segelfläche und etwa 3 bis 4kg Verdrängung. Die Grenze des noch Sinnvollen wäre etwa im Maßstab 1:7 (L=1660mm, S=1m2, V=6kg) bei einem Rennwert von knapp über 1,00 erreicht bzw. leicht überschritten. Abzüglich ca. 4 kg Bleiballast bliebe dann für das gesamte Boot (Rumpf, Rigg, RC-Ausrüstung) etwa 2kg übrig - trotz des konsequenten Einsatzes von CFK und superleichten Komponenten sicherlich eine Herausforderung an der Grenze des Machbaren bei einem hohen Restrisiko. Das ist dann aber schon ein Thema für einen anderen Artikel.



Borek Dvořák



Literaturverzeichnis:
Manfred Curry: Regatta-Segeln, ISBN 3-7688-0854-8
Czeslaw A Marchaj: Aerodynamik und Hydrodynamik des Segelns, ISBN 3-7688-0729-0
Howard Irwing Chapelle: Yacht Designing and Planning, ISBN 0-393-03756-8
Maritime Zeitschrift "Alte Schiffe", Ausgabe 14, Dezember 1993
Uffa Fox / Guy Cole: The Best of Uffa, ISBN 0-7136-4987-9


Borek Dvořák
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