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Zur Segeltheorie
unter Berücksichtigung des Bernoullischen Gesetzes
Ein Beitrag von Willi Pülmanns
Bei einem Telefonat mit Peter Schuster stellten wir fest, dass in der einschlägigen
Literatur die Segeltheorie zwar immer angerissen wird, um zu erklären welche Auswirkungen Wind
und Segel in verschiedenen Situationen auf den Vortrieb eines Schiffes haben, dass aber nur
selten oder gar nicht erklärt wird, warum das so ist. Da tun sich Lücken auf.
Außerdem existieren im Netz teilweise recht abenteuerliche Behauptungen. Eine der hanebüchensten
lautet z.B., dass ein Segelschiff als System ein Perpetuum mobile sei bei dem der Wind lediglich
auslösendes Moment ist.
Unsinn ist das, denn dann bräuchte man Segelschiffe, die in einer Flaute liegen nur ein bisschen
anstubsen, bis genug Fahrtwind vorhanden ist, der dann den weiteren Vortrieb besorgt. Das ist
aber nicht so, die Schiffe kämen nach dem Stubs wieder zum Stillstand. Gesegelt werden kann nur,
wenn ständig Energie in Form von Wind nachgeliefert wird, die dann in Wellen, Krängung, Abdrift,
Vortrieb, Verformung, Wärme usw. umgewandelt wird - nix is mit Perpetuum mobile!
Um verstehen zu können, warum Segel einen Vortrieb am Schiff bewirken, sind ein paar
physikalische Grundlagen nötig. Dabei lasse ich den (eher seltenen) Zustand, dass der Wind das
Schiff genau vor sich her schiebt (Vorwindkurs, Raumschotkurs) einmal unter den Tisch fallen,
weil hier das Prinzip wohl auf der Hand liegt und keiner weiteren Erläuterung bedarf.
Ich werde daher auf Peters Bitte hin nachfolgend versuchen, diese Lücken wenn nicht zu schließen,
so aber doch etwas aufzufüllen.
Zunächst aber ein kleiner Exkurs:
Im 18 Jahrhundert entdeckte der Italiener Giovanni Battista Venturi (1746-1822), dass die Fließgeschwindigkeit einer inkompressiblen Flüssigkeit in einem Rohr sich umgekehrt proportional zu dessen Querschnitt verhält (Venturi-Effekt). Im Klartext bedeutet das, dass die Flüssigkeit dort am schnellsten fließt, wo der Rohrquerschnitt am engsten ist. Soweit die Beobachtung.
Schickt man einen Liter Wasser in ein bereits mit Wasser gefülltes Rohr hinein, muss auch wieder ein Liter Wasser aus dem Rohr heraus kommen und zwar egal ob an der engsten oder der weitesten Stelle (Kontinuitätsgesetz). Daraus ergibt sich, dass das Wasser die Engstelle mit dem gleichen Durchfluss (Menge pro Zeiteinheit) passieren muss, wie an jeder anderen Stelle. Das kann es nur, wenn es dort schneller fließt.Der Gesamtdruck eines Systems setzt sich aus dem dynamischen Druck und dem statischen Druck
zusammen (Pges = Pdyn + Pstat).
Der statische Druck wird z.B. durch einen Gegenstand erzeugt, der auf einer Unterlage liegt. In
diesem Fall ist die Kraft die Schwerkraft. Das beschriebene System ist unbewegt, also statisch.
Statische Drücke sind z.B. der Luftdruck der Atmosphäre und der Wasserdruck in Abhängigkeit von
der Wassertiefe.
Dynamischer Druck entsteht durch die Bewegung eines Körpers, in unserem Fall das fließende Wasser. Wer schon mal von einem kräftigen Wasserstrahl aus dem Gartenschlauch getroffen wurde, weiß was dynamischer Druck ist. Der dynamische Druck ist umso größer, je höher die Geschwindigkeit des Wassers ist. Da sich aufgrund des Kontinuitätsgesetzes (s.o.) die Geschwindigkeit des Wassers in der Engstelle erhöht, erhöht sich zwangsläufig auch der dynamische Druck des Wassers. Da sich aber der Gesamtdruck des Systems nicht verändert, geht das nur, wenn der statische Druck an dieser Stelle abnimmt.
Zusammenfassend und stark vereinfacht sei also gesagt, dass das Wasser an der Engstelle im Rohr schneller fließen muss, dadurch sein dynamischer Druck zu- und der statische Druck (Umgebungsdruck) an dieser Stelle abnimmt, wodurch die Beschleunigung des Wassers bewirkt und die Energiebilanz ausgeglichen wird.Diese Zusammenhänge gelten nicht nur für Flüssigkeiten in Rohren, sondern auch für gasförmige
Medien z.B. Luft. Nehmt doch mal ein DinA4-Blatt an der kurzen Seite in die Finger, bringt die
kurze Seite vor die Lippen und pustet über das Blatt.
Durch das Pusten fließt die Luft auf der Oberseite des Blattes schneller, als auf
der Unterseite und es erhöht sich ihr dynamischer Druck. Der Druck des Gesamtsystems (in diesem
Fall der Luftdruck in dem Raum, in dem wir uns gerade befinden) verändert sich aber nicht. Um
einen Ausgleich zu schaffen, muss also der Druck unmittelbar über dem Blatt (statischer Druck)
fallen. Das tut er auch. Somit haben wir durch unser Pusten einen Zustand erzeugt, in dem der
Druck über dem Blatt niedriger ist, als unter dem Blatt, oder anders herum gesagt, der Druck
unter dem Blatt höher ist, als darüber. In dem Bestreben den Unterschied der beiden Drücke
auszugleichen wird das Blatt Papier hochgezogen bzw. angehoben. Es entsteht eine nach oben
gerichtete Kraft, der Auftrieb.
Das gleiche Prinzip findet sich an der Tragfläche von Flugzeugen. Durch die stärkere Wölbung
der Flügeloberseite ergibt sich ebenfalls eine Art Engstelle. Nach unten begrenzt durch den
Flügel, nach oben durch die laminar (quasi gerade) vorbei strömende Luft, fließen die
Luftanteile, für die der Flügel ein Hindernis darstellt schneller über den Flügel, als darunter
her.
Es gilt dasselbe, wie für Wasser in der Rohrengstelle und für das Blatt Papier. Der statische
Druck über dem Flügel nimmt ab, es entsteht Auftrieb.
Die Kunst des Skippers besteht darin, seinen Kurs zur anströmenden Luft so zu wählen, dass sich am Segel eine Wölbung bildet, die
Das hört sich zunächst mal einfach an, ist es aber nicht. Das Dumme ist nämlich, dass eine
Übereinstimmung des gewünschten Kurses und der Wirkrichtung der Vortriebskraft nur dann gegeben
ist, wenn zufällig der gewünschte Kurs und die Windrichtung exakt übereinstimmen. Wir segeln dann
„platt vor dem Laken”.
Das ist selten und außerdem noch schwierig, da manche Schiffe in solchen Situationen dazu neigen,
aus dem Ruder zu laufen. Deshalb ziehen einige Skipper es vor, auch vor dem Wind einen sehr
gestreckten Kreuzkurs zu fahren, aber das nur nebenbei.
In den meisten Fällen wirkt die Kraft, die an den Segeln entsteht in eine ganz andere Richtung,
als die, in der unser Ziel liegt. Trotzdem können wir beobachten, dass unser Schiff nicht
sklavisch der Wirkrichtung unserer Segelkraft folgt, sondern seine Fahrt von dieser Richtung
abweichen kann.
Um das zu erklären ein weiterer Exkurs:
Zunächst einmal muss geklärt werden, was Kraft überhaupt ist. Die Physik beschreibt Kraft als
eine Einwirkung auf einen Körper, die seinen Bewegungszustand ändert. Dies kann durch
Beschleunigen, Bremsen (= negative Beschleunigung) oder durch Richtungsänderung geschehen.
Die Größe der Kraft ist dabei abhängig von der Masse des Körpers und der Beschleunigung.
Daraus folgt: Kraft = Masse mal Beschleunigung (F= m x a, wobei m = kg, a = m/sek² und F = kg
m/sek² oder N (Newton) ist).
Eine Kraft wirkt immer in eine (eine nicht im numerischen Sinne, sondern im Sinne von irgendeine)
Richtung.
Meistens haben wir es mit mehreren gleichzeitig wirkenden Kräften zu tun. Aus dem Zusammenspiel
mehrerer Kräfte ergibt sich eine resultierende Kraft. Umgekehrt kann eine Kraft in mehrere
Komponenten zerlegt werden.
Wirken mehrere Kräfte in dieselbe Richtung,
addieren sie sich (F1+F2+Fn=Fges).
Wirken zwei Kräfte in entgegengesetzter Richtung,
subtrahieren sie sich (F1-F2=Fges).
Verstünde man die tatsächliche Bewegung des Schiffes lediglich als die Resultierende ihrer beiden Komponenten, die ja aus der am Segel wirkenden Kraft abgeleitet wurden, wären Segelkraft und Bewegungsrichtung deckungsgleich. Das wäre fatal, weil der Vortrieb, unser eigentliches Ziel jämmerlich klein ausfallen würde, wogegen die Abdrift enorm wäre.
Es versteht sich aber glücklicherweise fast von selbst, dass der Vortrieb und die Abdrift in
der Beschleunigungsphase um die jeweils genau entgegengesetzt wirkende Widerstandkraft des
Wassers reduziert wird. Je schneller das Schiff wird, desto größer wird der Widerstand. Heben
Vortrieb bzw. Abdrift und die Widerstandskraft sich genau auf, sind also gleich groß, wird nicht
weiter beschleunigt, die Bewegung ist gleichförmig (wir erinnern uns: Kraft ist Masse mal
Beschleunigung). Dabei ist der Widerstand, den das Wasser der seitlichen Bewegung bietet durch
die große Lateralplanfläche um ein Vielfaches größer, als der Widerstand gegen die Bewegung des
Schiffes in seiner Längsachse.
Daraus ergibt sich, dass die seitliche Bewegung des Schiffes selbst dann, wenn die unsere Abdrift
bewirkende Kraftkomponente recht groß ist, frühzeitig nicht weiter beschleunigt wird, also ihre
Endgeschwindigkeit erreicht, wohingegen die Endgeschwindigkeit der Vortriebskomponente später
erreicht wird, bzw. höher ist.
Weil die Kraft, die die seitliche Abdrift bewirkt am Segel, also hoch oben angreift, der
Wasserwiderstand aber weit unten, entsteht ein Hebelpaar, dessen gemeinsamer Drehpunkt ungefähr
in der Ebene der Wasserlinie liegt. Die beschriebenen Kräfte bewirken über dieses Hebelpaar die
Krängung.
Nach dem eben gesagten wird klar, dass nur ein relativ geringer Anteil der durch das Segel
entstehenden Kraft in Vortrieb umgesetzt wird. Ihn zu vergrößern, bzw. nicht unnötig noch kleiner
werden zu lassen ist die Herausforderung, der sich jeder Segler immer wieder stellen muss. Unter
gewissen Umständen ist dann sogar Fahrt möglich, die schneller ist, als der das Schiff
antreibende Wind. Das hat dann aber nichts mit einem Perpetuum mobile zu tun.
Mir bleibt die Hoffnung, dem interessierten Laien ein paar zusätzliche Informationen gegeben zu haben.