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Atlantic - Ein Schoner und ein Rekord für die
‘Ewigkeit’
ein Beitrag von Walter Ludwig
Als am 17. Mai des Jahres 1905 um 12 Uhr 15 New Yorker Zeit der Startschuss zur ersten Transatlantikregatta fiel, ahnten der Eigner der Atlantic Wilson Marshall und seine Gäste nicht, dass sie Zeugen eines denkwürdigen Ereignisses werden sollten, daß die Segelwelt auch noch 100 Jahre später vor Erfurcht erschauern lässt.
Kaiser Wilhelm II. hatte in seinen Bemühungen um den Segelsport das erste offizielle Hochseerennen initiiert, daß von Sandy Hook in New York nach Lizard Point in England führen sollte. Der Kaiser stiftete einen großen Goldpokal als Preis. Sehr verlockend muss die Aussicht auf Ruhm und Ehre für die Eigner gewesen sein. Die besten Schiffe wurden ausgerüstet und die erfolgreichsten Skipper wurden engagiert. Unter ihnen auch Charles ‘Charlie’ Barr, der damals schon einer der erfolgreichsten Kapitäne seiner Zeit war. Es wurden für die Schiffsführer Gehälter gezahlt, die eine normale Jahresheuer um das 50-fache übertroffen haben sollen.
Elf Yachten, unter ihnen der deutsche Schoner Hamburg, gingen an den Start, der wegen Nebels um einen Tag verschoben werden musste. Die englische Yawl Ailsa kreuzte die Startlinie als Erste, gefolgt von den Schonern Hildegarde und Atlantic. Am Nachmittag verloren die Yachten sich im aufziehenden Nebel. Die meisten Yachten, unter ihnen auch die Hamburg, wählten einen südlichen Kurs, allein Charlie Barr steuerte die Atlantic neun Tage nach Ostnordost. Er holte aus dem Schiff die größt mögliche Leistung heraus. Ständig wurden die Segel getrimmt und optimiert. Das Logbuch verzeichnet allein für einen Tag 10 Segelwechsel.
Am 22. Mai passierte die Atlantic auf dem Großkreiskurs die Spitze Neufundlands. Bis dahin hatte sie eine durchschnittliche Fahrt von 220 Seemeilen pro Tag zurückgelegt. Die Regatta über den ‘gefürchteten’ Atlantik war bis zu diesem Zeitpunkt fast idyllisch verlaufen. Einer der Gäste schrieb an diesem Abend in sein Tagebuch: “Eine herrliche Nacht mit einer frischen Brise, das Schiff macht 12 Knoten, das Meer ist völlig glatt.”
Im Morgengrauen des 23. Mai 1905 bot sich dem Eigner und seinen Gästen ein bis dahin während Regatten unbekannten Anblick. Unter Toppsegeln und mit 12 Knoten Geschwindigkeit passiert die Atlantic einen riesigen Eisberg. “Wohl einen Kilometer lang und knapp 100 Meter hoch” soll der schwimmende Berg gewesen sein, der in Lee der Yacht vorüber zog.
Während des 24. Mai hatte der Wind aufgefrischt und die Atlantic pflügte mit einem Tagesspurt von 341 Seemeilen durch den Nordatlantik. Der Mannschaft brachte dieser Rekord am Abend eine doppelte Grogration ein. Doch die größte Herausforderung lag noch vor der Yacht und ihrer Besatzung.
Der Wind nahm weiter zu und hatte sich zwei Tage später bis zur vollen Sturmstärke entwickelt. Die Atlantic durchschnitt die Wellen mit einem Speed von 12 Knoten und Charlie Barr machte keine Anstalten beizudrehen. Der Eigner jedoch verlangte von seinem Skipper, daß er die Segel reffen und beidrehen solle. Charlie Barr schloss Marshall und seine Gäste mit den Worten “Sir, sie haben mich angeheuert, dieses Rennen zu gewinnen und bei Gott, dies werde ich tun.“ im Salon ein und ging wieder an Deck. Die Rudergänger hatten sich am Steuerrad festgebunden, um nicht über Bord gespült zu werden.
Drei Tage blies der Sturm mit unverminderter Wucht und am 29. Mai flog die Atlantic an Bishop Rock vorbei. Nur noch 50 Seemeilen bis Lizard Point, dann schlief der Wind plötzlich ein. Doch Charlie Barr verstand es, die Yacht in Bewegung zu halten und passiert am Abend des 29. Mai 1905 um 21 Uhr 16 Greenwich Zeit bei völliger Flaute die Ziellinie.
Mit 12 Tage 4 Stunden 1 Minute und 19 Sekunden markierte die Atlantic eine Rekordzeit. Der Lohn war ein vergoldeter Pokal - und ein unauslöschlicher Platz in der Geschichte des Yachtsegeln.
Charlie Barrs Kommentar zu dieser Leistung: “Ich hatte die beste Yacht, eine gute Brise, eine sehr gut arbeitende Crew und Sie können keine besseren Segelkameraden finden als ich sie hatte.“
Diese Bestmarke hielt eine kleine Ewigkeit von 100 Jahren. Zwar gelang es Eric Tabarly im Jahr 1980 mit der Paul Ricard den Atlantik schneller unter Segeln zu überqueren als die Atlantic. Doch Eric Tabarly hatte mit seinem Team nur die Uhr zum Gegner. Zudem war die Paul Ricard ein Tragflügelkatamaran und ist kaum mit einer ‘normalen’ Yacht vergleichbar.
Keine Yacht war während einer Regatta auf dem Altantik schneller unter Segeln unterwegs als die Atlantic mit ihrer Crew. Über den modernen Atlantikrennen mit ihren hochmodernen Yachten, Satellitennavigation und ausgeklügelter Technik lag der ‘Geist’ von Charlie Barr. Jeder Teilnehmer konnte ihn förmlich mit den Händen greifen, schlagen konnte den Rekord von 1905 niemand, bis er 2005 bei der Rolex Transatlantic Challange von dem mit modernster Technik ausgestatteten Zweimastschoner Mari-Cha IV unterboten wurde.
Charlie Barr starb im Jahr 1911 in Southhampton, als Skipper der Westward. Die Atlantic segelte weiter erfolgreich, doch an den Triumph von 1905 konnte sie nicht anknüpfen. Nach dem ersten Weltkrieg diente sie Cornelius Vanderbuilt als Mutterschiff für berühmte Yachten wie die Vanity und die J-Class Yacht Yankee während ihres Englandaufenthaltes. In den fünfziger Jahren wurde sie zuerst als Charteryacht und danach als Hausboot eingesetzt, bis sie 1980 endgültig abgebrochen wurde.
Im Zuge der Renaissance der alten großen Yachten wird die Atlantic, wie vor ihr schon Ranger, Britannia oder Westward alias Elionora und die Endeavour II wiederauferstehen. Auf der holländischen Werft Van der Graaf entsteht die Atlantic, in der “Spirit of Tradition” gehalten, neu. Der Baufortschritt wird im Internet unter www.schooner-atlantic.com dokumentiert.
Über die Abmessungen der Atlantic gibt es verschieden, leicht variierende Angaben. Die folgenden Maße stammen, ebenso wie die Risse, aus dem Buch von Carlos Sciarelli (in Klammern die der Webseite):
Länge über alles: | (69,24 m) |
Länge über Deck: | 56,50 m (56,43 m) |
Länge in der Wasserlinie: | 41,50 m (41,18 m) |
Breite: | 9,00 m ( 8,85 m) |
Tiefgang (ohne Schwert): | 5,50 m ( 4,90 m) |
Segelfläche: | 1700 qm (1720 qm) |
Quellen:
Daniel Charles / Die Geschichte des Yachtsports / Delius Klasing / Bielefeld / 2002
Franco Giorgetti / Geschichte und Entwicklung der Segelyachten / Collection Heyne / München 2000
Kristin Lammerting / Meteor - Die kaiserlichen Segelyachten / DuMont / Köln 1999
John Leather / The Big Class Racing Yachts / Stanford Maritime / London / 1982
Carlo Sciarelli / Die Yacht - Ihre Herkunft und ihre Entwicklung / Delius Klasing / Bielefeld
1973
Jaqueline Tabarly, Daniel Gilles / Eric Tabarly - Ein Seglerleben / Delius Klasing / Bielefeld
2000
A.B.C. Whipple / Die Rennyachten / Time-Life-Bücher / Amsterdam 1988
Yacht classic 1/2007 - Projekte - wer woran arbeitet