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Aufsatz/Bericht
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09.2003 / son-03-07.htm

2 ½ Sekunden – ein Herzschlagfinale nach 120 Seemeilen Sturmfahrt

Aufsatz von Walter Ludwig

Als am 14. September 1893 die königliche Rennyacht BRITANNIA Seite an Seite mit der amerikanischen NAVAHOE durch den Solent an die Startlinie bei den Needles - eine Felsformation im Südwesten der Isle of Wight - geschleppt wurde, waren sehr viele Emotionen im Spiel und einige Rechnungen zwischen den amerikanischen und englischen Skippern offen.

NAVAHOE, die 128 Fuß lange Herreshoff-Slup, die in diesem Jahr über den Atlantik gekommen war, um gegen die kuttergetakelte BRITANNIA zu segeln, hatte die in sie gesetzten Erwartungen bisher nicht erfüllt. In sieben Rennen war stets die BRITANNIA mit 6 ersten und 1 zweiten Platz erfolgreich gewesen, während NAVAHOE lediglich 2 zweite und 1 dritten Platz verzeichnen konnte. Den International Gold Cup hatte die BRITANNIA mit 3 überlegenen Siegen erfolgreich verteidigt.

Doch an diesem Spätsommertag sollte um den bedeutenderen Brenton Reef Cup gesegelt werden. Diesen Pokal hatte Sir Richard Gutton’s GENESTRA unter dem Kommando von Kapitän John Carter im Jahr 1885 gegen den amerikanischen Schoner DAUNTLESS gewonnen. NAVAHOE wollte Revanche für diese Niederlage, Kapitän John Carter, jetzt Skipper der BRITANNIA, wollte genau dies verhindern.

Doch damit nicht genug, es herrschte ungemütliches Wetter an diesem 14. September, der Wind heulte über die Insel und wühlte das Meer im Solent Channel auf, Britannia-Wetter. Der Kurs sollte von der Startlinie zwischen den Needles und dem Leuchtturm über den Kanal nach Cherbourg führen. Dort waren die Wellenbrecher zu runden und dann sollte es zurück zur Ziellinie bei den Needles gehen. Ein Kurs über die offene See und bei einem Wetter, das die Kapitäne und Mannschaften der J’s hätte erschaudern lassen und auch heutige ‚Oceanracer’ vor eine gewaltige Aufgabe stellen würde.

Der Start sollte zur Mittagstunde sein, nach den Regeln des New York Yacht Club und ohne Zeitausgleich. Die Regeln des NYYC besagten, dass ein Schiff innerhalb von 5 Minuten nach dem Startschuss die Startlinie kreuzen musste, von diesem Zeitpunkt an lief die Zeit. Das heißt die Startverzögerung wurde nach dem Zielschuss von der Rennzeit - die ab dem Startschuss zählt - abgezogen. Nach diesen Regeln war also die korrigierte Zeit einer Rennyacht die Zeit zwischen dem Kreuzen der Start- und der Ziellinie.

Beide Yachten, BRITANNIA und NAVAHOE, kamen mit einfach gerefftem Großsegel, einem Topsegel darüber, mit Focksegel, Ballonklüver und einem kleinen, am Bugspriet zusammengefalteten Flieger an die Ziellinie, mit soviel Segeltuch, wie das Wetter und der Wind es gerade eben zuließen.

Nach dem Startschuss pünktlich zur Mittagszeit kreuzte BRITANNIA um 12-01-06 Uhr als erste die Startlinie, NAVAHOE folgte knapp eine Minute später um 12-02-00,5 Uhr.

Für die ersten Meilen lag der Kurs im Windschatten von St. Catherine’s Point und führte durch vergleichsweise ruhige See mit einer langen Welle, die beiden Yachten machte zügige Fahrt. Nach dem Runden von St. Catherine’s Point wurden die See- und Wetterverhältnisse jedoch zunehmend schwieriger. Im Fahrwasser des Ärmelkanals herrschte starker Wind mit einer kurzen, kräftigen See. Als erstes wurden die Topsegel weggenommen und nach einer Weile auch die Ballonklüver durch die kleineren Arbeitsklüver ersetzt. Aber dies hatte wenige Auswirkungen auf die Geschwindigkeit der Yachten. BRITANNIA und NAVAHOE machten zu dieser Zeit eine durchschnittliche Fahrt von 12 ½ Knoten.

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Britannia und Navahoe

Es muss sehr nass zugegangen sein an den Pinnen der Yachten, die ständig mit dem Bug in die Wellen eintauchten und das Wasser in hohen Gischtfontänen über das Deck schleuderten, fortwährend am Geschwindigkeitslimit der Schiffe fahrend. Bug an Bug überquerten die schäumenden Yachten bei ständig zunehmendem Wind den Kanal, nie weiter als wenige Meter auseinander. Es war soviel Spannung in der Takelage, das keine Yacht es riskieren wollte den Topmast wegzunehmen, bevor nicht ruhigere Gewässer nahe der französischen Küste erreicht wurden. Dort wurden - unter nur geringfügig verminderter Geschwindigkeit - die Topmasten geborgen und in voller Fahrt liefen die Yachten in die westliche Einfahrt des Hafens von Cherbourg ein. NAVAHOE führte nach dieser abenteuerlichen Überfahrt mit 25 Sekunden.

Innerhalb der Wellenbrecher war glattes Wasser aber auch die Gefahr in ein Windloch zu geraten. Dies war John Carter’s große Chance das Blatt zu wenden. Er wollte sich einen Vorsprung herauszuarbeiten, der NAVAHOE’s Gewinnchancen auf dem Rückweg minimieren sollte. Schlag um Schlag manövrierte er sich an den Konkurrenten heran und ließ ihm dann keine Chance mehr zum Kontern. Er schnitt ihm jeden Weg in den Wind ab. Dies war ein wunderbares Stück Segeltaktik und als BRITANNIA den östlichen Arm der Wellenbrecher rundete hatte Carter sein Ziel erreicht, die königliche Yacht lag vor NAVAHOE. Auf 2 Meilen Weg hatte Carter einen Rückstand von 25 Sekunden in einen Vorsprung von 2 ½ Minuten verwandelt.

Hatte der erste Teil dieses Rennens beiden Yachten und ihren Besatzungen schon viel abverlangt, so war dies wenig im Vergleich zur Heimfahrt. Der Wind blies immer stärker und stärker und eine steile See stellte sich den Schiffen entgegen. Glücklicherweise waren die Topmasten schon geborgen worden, den die Masten und Spieren ächzten und stöhnten unter der Last des Windes und den Bewegungen des Meeres. Zeitweilig bogen sich die Masten unter dem Druck der Gaffelschuhe bedenklich. Material und Mannschaft wurden bis an ihre Leistungsgrenzen beansprucht, aber alles hielt. Einige Meilen vom Land entfernt wurden auf beiden Yachten auch die Klüver geborgen. Eine Aktion nicht ganz ohne Risiko, den ‚grünes Wasser’ wusch über die Vordecks und hätte ein Crewmitglied in die brüllende See reißen können. Mit mehr als 11 Knoten flogen die Yachten über das Meer und NAHAHOE verkürzte Meile um Meile den von John Carter so bravourös heraus gesegelten Vorsprung.

Im Windschatten von St. Catherine’s Point wurde es dann wieder etwas ruhiger und nur eine kabbelige Welle war geblieben. Die Klüver wurden wieder gesetzt und die Amerikaner schlossen weiter zur BRITANNIA auf. Unter dem Sternenhimmel war die Bühne eröffnet für einen der knappsten und aufregendsten Zieleinläufe der Segelgeschichte.

Um 22-37-35 Uhr kreuzte de königliche Yacht die Ziellinie zwischen den Needels und dem Leuchtturm, NAVAHOE 57 Sekunden nach ihr. Nach den amerikanischen Regeln hatte BRITANNIA dieses aufregende Rennen nach korrigierter Zeit - NAVAHOE war 54,5 Sekunden nach ihr gestartet - mit einem Vorsprung von gerade einmal 2 ½ Sekunden gewonnen und dies nach einem außergewöhnlichen Rennen über 120 Seemeilen auf offener See und stürmischem Wind.

Anmerkung:

BRITANNIA war zwar ‚First Ship Home’ aber nach einem Protest der Amerikaner, bei der die Position des Komiteebootes eine nicht unwichtige Rolle spielte, sprach die Royal Yacht Squadron ‚sportsmanlike’ der NAVAHOE den Sieg und den Pokal zu.

BRITANNIA verzeichnete in ihrer langen Karriere noch viele weitere Erfolge gegen amerikanische Yachten, so etwas die VIGILANT - Americas-Cup-Verteidigerin im Jahre 1893 – und noch im Jahre 1935 gegen die J-Class- Yacht YANKEE. Insgesamt erreichte sie in 42 Jahren und 635 Starts 231erste und 129 zweite Plätze. Eine bis heute beispiellose Regattakarriere endete 1936 auf Wunsch des verstorbenen Eigners mit der Versenkung der BRITANNIA im Kanal.

NAVAHOE, die im Jahr 1893 die Verteidigung des Americas-Cup der VIGILANT überlassen musste, wurde später an Herrn Konsul Georg W. Wätjen aus Bremen verkauft und errang, als Yawl getakelt, noch zahlreiche Erfolge.


Walter Ludwig

Quellen:
John Irving - The King’s Britannia / 1937
John Leather - The Big Class Racing Yachts
Lothar Lichtenheld – Meteor – Kaiser Wilhelm II. uns seine Segelyachten

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