Modellbau
Baukastenmodell |
mini-sail e.V. |
Teil 1:
Rudergänger Kalle erzählt aus seinem bewegten Seemannsleben
Beim Klabautermann,
die Jungfernfahrt werde ich so schnell nicht vergessen! Eine frische Brise fegte durch die grauen
Wolken und auf dem aufgewühlten See blitzten die ersten weißen Gischtkronen. Eigentlich stand das
Barometer für eine erste Testfahrt mit meiner neuen Jolle reichlich tief - was natürlich einen
echten Seemann nicht erschüttern konnte! Eher störte mich, dass ich auf dem flachen Deck der
Jolle gleich neben den Fischen Platz zu nehmen hatte. Denn Freibord, das diesen Namen verdienen
würde, bietet die ultrabreite Sportflunder nicht an. Als wollte sie mir das Gegenteil beweisen,
nahm die tiefe Sitzposition gleich nach dem Ablegen ein jähes Ende. Eine kräftige Böe packte in
die Segel und hievte mich geschwind hoch über die Wellen. Verbissen bemühte ich mich die
dramatisch krängende Jolle auszureiten und hängte mich mit dem Oberkörper weit über die Bordwand.
Aber ohne Trapezeinsatz und allein an Bord, ohne Vorschoter, reichte mein Gewicht nicht aus. Um
die drohende Kenterung abzuwenden, ließ ich hastig die Schoten ausrauschen. Die Jolle reagierte
prompt. Des Segeldrucks beraubt, richtete der Mast sich schlagartig wieder auf. Gleichzeitig
sauste ich derart schwungvoll von meiner hohen Luvposition hinunter, dass ich kopfüber im kalten
Wasser landete. Brrrr. Fast wäre es zu einer Luvkenterung gekommen.
Nach diesem unfreiwilligen Bad ließ ich es zunächst etwas sachter angehen. Für die erste Wende
stellte ich mich bei Kommando Ree auf einen sorgfältig ausbalancierten Gewichtsausgleich ein.
Schließlich kam es im Kampf mit den launischen Böen darauf an, im genau passenden Augenblick
umzulegen und dabei feinfühlig einen exakt abgestimmten Gewichtsausgleich vorzunehmen, wollte ich
einen erneuten Vollwaschgang in den Wellen vermeiden. Die Wende gelang mir dank voller
Konzentration. Alle weiteren Manöver mussten bei den lebhaften Windverhältnissen mit gleicher
Präzision durchexerziert werden, wobei meine ganze Gelenkigkeit als Segelsportler gefordert war.
Auf den Schlägen wiederum beschäftigten mich angelegentlich schnell wechselnder
Gewichtsausgleich, Schotführung und nicht zuletzt das Kurshalten. Meine Jolle reagierte nämlich
wegen ihrer großen Breite auf jegliche Krängung sehr nervös und luvte in Böen wie wild. Dazu
wippte ich auf der Luvseite ständig hoch und runter, was ich durch angepasste Schotführung kaum
ausgleichen konnte. Das mir vertraute Verdrängersegeln wurde hier zur anstrengenden, wenig
vielversprechenden Tortur. Deshalb entschloss ich mich zu einem Strategiewechsel. Bei Einfall der
nächsten Böe fierte ich stark auf, fiel dazu deutlich ab und holte vom raumeren Kurs aus die
Schoten gefühlvoll wieder dichter. Die Jolle ließ sich nicht lange bitten. Statt sofort wieder in
den Wind zu schießen, hob sich der Bug aus dem Wasser und ich rutschte unter vollem
Gewichtsausgleich rasant über die Wellen. Während der Gleitphase lag die Jolle sehr feinnervig
auf dem Ruder und Abfallen stellte kein Problem mehr dar. Nur gewaltsames Höheknüppeln war in der
Gleitfahrt nicht machbar. Allerdings wird der größere tote Winkel durch den Gewinn an
Geschwindigkeit ziemlich ausgeglichen.
Aber von vorne,
gestatten, dass ich mich erst einmal vorstelle. Ich bin der Kalle und erster und einziger
Steuermann an Bord der „Jollie”. Mein Schiff, die „Jollie” ist keine
luxuriöse Segelyacht sondern eine sportliche, slupgetakelte Jolle. So aktiv und wichtig ich an
Bord auch bin, so muß ich Euch leider gestehen, dass die Schoten nicht wirklich durch meine Hände
laufen, auch wenn es von weitem so aussehen mag. Entsprechendes habe ich Euch über die Bedienung
der Pinne zu beichten. Wahrscheinlich ahnt Ihr es schon längst. Meine Seemannsseele hängt fern
meiner selbst an einem unsichtbaren Draht. Der „Große Konstrukteur” schuf mich nicht
aus Fleisch und Blut, sondern aus ABS. Meine Innereien bestehen aus verschiedenen Kunststoffen,
Stahl, Messing und vielen weiteren chemischen Substanzen. Mit nahezu 300 Gramm Blei Gehirnmasse
mag man mich mit Fug und Recht einen echten Dickschädel nennen. Anatomisch betrachtet verfüge ich
über ein zentrales Hüftgelenk und zwei Schultergelenke. Zwei querabgelagerte Rollen im eigenen
„Achtersteven” erleichtern mir den sportlich-schnellen Seitenwechsel. Alle meine
Gelenke sind übrigens voll RC-aktiv, worauf ich natürlich ganz besonders stolz bin. Ich kann
nicht nur die Seite wechseln sondern mein Gewicht längsschiffs vor und zurück verlagern und, wenn
der Winddruck es erfordert, mich sogar mit dem Oberkörper über die Bordwand hängen. Meine Arme
bleiben dabei mit der Schot in den Händen stets auf den unteren Block der Talje ausgerichtet. Auf
welchem anderen Modell-Segler gibt es schon eine ferngesteuerte Mannschaft, die so wichtige
Funktionen wie einen fein abgestimmten Gewichtsausgleich wahrnimmt? Meine sportlichen Aktivitäten
an Bord finden daher bei Zuschauern am Ufer immer größte Beachtung.
Anfang der 90er Jahre erblickte ich im ABS Tiefziehverfahren bei der Firma Robbe das Licht der Welt. Meine Boot, die „Jollie”, war von Robbe ursprünglich als Nachbau der hochsportlichen Laserjolle im Maßstab 1:4 gedacht. Erst später, im Rahmen einer umfassenden Sanierung, wurde sie zu einer Slup umgetakelt. Nachdem wir beide also tiefgezogen das Licht der Welt erblickt hatten, gelangten wir in einem stattlichen Baukasten zur Auslieferung an einen Modellbauhändler im Ruhrgebiet. Vielleicht lag es am vergleichsweise hohen Preis des Bausatzes oder der schlichten Erscheinung der (im Robbe-Original) katgetakelten, unverstagten „Jollie” oder vielleicht auch an beidem. Jedenfalls gab ich beim Händler über viele Jahre den ungeliebten Ladenhüter ab. Der mochte mich zunehmend weniger leiden. Bevor ich gänzlich zur Unkenntlichkeit eingestaubt war, verschacherte er mich vor einigen Jahren für ´nen Appel und ´nen Ei an einen braven Familienvater und Häuslebauer. Dazu drehte er ihm eine billige 3-Kanal-Fernsteuerung an, die den etwas gehobeneren Ansprüchen, die ich und die Jollie nun mal an die RC-Ausrüstung stellen, nie und nimmer genügt. Verkauft und in Heimwerker Hände geraten musste ich miterleben, dass er sowohl im Segelsport als auch im Modellbau ein Leichtmatrose war und mit Fortuna auf schlechtem Fuß stand. Der Zusammenbau missglückte rundherum.
Übrigens,
die Jungfernfahrt habe ich schließlich doch noch überlebt. Der Seenotrettungsdienst kam gerade
noch rechtzeitig. Konkret handelte es sich dabei um den schwimmenden Ralph, der mit einer
Kenterung nicht gerechnet hatte und zur Gaudi einiger Spaziergänger nur mit Unterhose bekleidet
ins kalte Wasser gestiegen war.
Soviel für heute!
Euer
Kalle