mb-07-17.png Modellbau
Baukastenmodell
mini-sail e.V.icon-ms-040

mb-07-17.htm; 03.2007
fenster.gifdiese Bilder lassen sich vergrößern

b001g.jpg

Beschaulicher Schlag auf Kurs am Wind
pfeil-re
Segeljolle „Jollie” von Robbe

über Bau und Segelpraxis
berichtet Ralph Sutthoff

Teil 1:
Rudergänger Kalle erzählt aus seinem bewegten Seemannsleben

Beim Klabautermann,
die Jungfernfahrt werde ich so schnell nicht vergessen! Eine frische Brise fegte durch die grauen Wolken und auf dem aufgewühlten See blitzten die ersten weißen Gischtkronen. Eigentlich stand das Barometer für eine erste Testfahrt mit meiner neuen Jolle reichlich tief - was natürlich einen echten Seemann nicht erschüttern konnte! Eher störte mich, dass ich auf dem flachen Deck der Jolle gleich neben den Fischen Platz zu nehmen hatte. Denn Freibord, das diesen Namen verdienen würde, bietet die ultrabreite Sportflunder nicht an. Als wollte sie mir das Gegenteil beweisen, nahm die tiefe Sitzposition gleich nach dem Ablegen ein jähes Ende. Eine kräftige Böe packte in die Segel und hievte mich geschwind hoch über die Wellen. Verbissen bemühte ich mich die dramatisch krängende Jolle auszureiten und hängte mich mit dem Oberkörper weit über die Bordwand. Aber ohne Trapezeinsatz und allein an Bord, ohne Vorschoter, reichte mein Gewicht nicht aus. Um die drohende Kenterung abzuwenden, ließ ich hastig die Schoten ausrauschen. Die Jolle reagierte prompt. Des Segeldrucks beraubt, richtete der Mast sich schlagartig wieder auf. Gleichzeitig sauste ich derart schwungvoll von meiner hohen Luvposition hinunter, dass ich kopfüber im kalten Wasser landete. Brrrr. Fast wäre es zu einer Luvkenterung gekommen.

b002g.jpg teakholzfurnierter Spiegel und unglaublich steifes Robbe-Segel mit Delle
pfeil-li

Nach diesem unfreiwilligen Bad ließ ich es zunächst etwas sachter angehen. Für die erste Wende stellte ich mich bei Kommando Ree auf einen sorgfältig ausbalancierten Gewichtsausgleich ein. Schließlich kam es im Kampf mit den launischen Böen darauf an, im genau passenden Augenblick umzulegen und dabei feinfühlig einen exakt abgestimmten Gewichtsausgleich vorzunehmen, wollte ich einen erneuten Vollwaschgang in den Wellen vermeiden. Die Wende gelang mir dank voller Konzentration. Alle weiteren Manöver mussten bei den lebhaften Windverhältnissen mit gleicher Präzision durchexerziert werden, wobei meine ganze Gelenkigkeit als Segelsportler gefordert war. Auf den Schlägen wiederum beschäftigten mich angelegentlich schnell wechselnder Gewichtsausgleich, Schotführung und nicht zuletzt das Kurshalten. Meine Jolle reagierte nämlich wegen ihrer großen Breite auf jegliche Krängung sehr nervös und luvte in Böen wie wild. Dazu wippte ich auf der Luvseite ständig hoch und runter, was ich durch angepasste Schotführung kaum ausgleichen konnte. Das mir vertraute Verdrängersegeln wurde hier zur anstrengenden, wenig vielversprechenden Tortur. Deshalb entschloss ich mich zu einem Strategiewechsel. Bei Einfall der nächsten Böe fierte ich stark auf, fiel dazu deutlich ab und holte vom raumeren Kurs aus die Schoten gefühlvoll wieder dichter. Die Jolle ließ sich nicht lange bitten. Statt sofort wieder in den Wind zu schießen, hob sich der Bug aus dem Wasser und ich rutschte unter vollem Gewichtsausgleich rasant über die Wellen. Während der Gleitphase lag die Jolle sehr feinnervig auf dem Ruder und Abfallen stellte kein Problem mehr dar. Nur gewaltsames Höheknüppeln war in der Gleitfahrt nicht machbar. Allerdings wird der größere tote Winkel durch den Gewinn an Geschwindigkeit ziemlich ausgeglichen.

b003g.jpg
mit baumloser Fock auf Schmetterlingskurs
pfeil-re
Nach etwas Übung fing die Sache an, richtig Spaß zu machen, will sagen, ich begann mutiger und eben auch leichtsinniger zu werden. Nach einigen spektakulär schnellen Schlägen, als ich es einmal allzu toll trieb, geschah es. Ich war gekentert! Immerhin kenterte ich nicht durch, obwohl der Wind besorgniserregend gegen die hohe, steil aus dem Wasser ragende Gleitfläche der Jolle drückte. Allerdings machte meine Jolle auch so gar keine Anstalten, sich in Segelyachtmanier von selber wieder aufzurichten. Die Segel schienen regelrecht mit der Wasseroberfläche verklebt zu sein. Aufgeregt turnte ich auf dem senkrecht stehenden Deck hoch und runter, ohne jedoch an meiner misslichen Lage etwas ändern zu können. Gerne hätte ich mich wie jeder andere sportliche Jollensegler lehrbuchmäßig auf das Schwert gestellt und den Kahn mit meinem Gewicht wieder aufgerichtet. Jedoch gelang es mir nicht, meine Füße aus den Ausreitgurten zu befreien. Bestand noch Hoffnung, dem kalten Seemannsgrab zu entrinnen? Ich zog eine kurze Bilanz: Niemand hatte mich das Schwimmen gelehrt, meiner wackeren Jolle fehlten jegliche Auftriebskörper und für die Jungfernfahrt waren alle Luken im Deck nur provisorisch abgedichtet worden. Wenn nicht ein Wunder geschähe würde ich bald Poseidon auf dem Grund des Sees begrüßen können. Ein leises Glucksen und Gurgeln aus dem Rumpfinneren holte mich aus meinen Betrachtungen zurück. Das Wasser hatte seinen Weg in den Rumpf bereits gefunden . . .
b004g.jpg Holz in der Plicht und poppige Glittereffektlackierung im 70er Jahre Stil auf Deck
pfeil-li

Aber von vorne,
gestatten, dass ich mich erst einmal vorstelle. Ich bin der Kalle und erster und einziger Steuermann an Bord der „Jollie”. Mein Schiff, die „Jollie” ist keine luxuriöse Segelyacht sondern eine sportliche, slupgetakelte Jolle. So aktiv und wichtig ich an Bord auch bin, so muß ich Euch leider gestehen, dass die Schoten nicht wirklich durch meine Hände laufen, auch wenn es von weitem so aussehen mag. Entsprechendes habe ich Euch über die Bedienung der Pinne zu beichten. Wahrscheinlich ahnt Ihr es schon längst. Meine Seemannsseele hängt fern meiner selbst an einem unsichtbaren Draht. Der „Große Konstrukteur” schuf mich nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus ABS. Meine Innereien bestehen aus verschiedenen Kunststoffen, Stahl, Messing und vielen weiteren chemischen Substanzen. Mit nahezu 300 Gramm Blei Gehirnmasse mag man mich mit Fug und Recht einen echten Dickschädel nennen. Anatomisch betrachtet verfüge ich über ein zentrales Hüftgelenk und zwei Schultergelenke. Zwei querabgelagerte Rollen im eigenen „Achtersteven” erleichtern mir den sportlich-schnellen Seitenwechsel. Alle meine Gelenke sind übrigens voll RC-aktiv, worauf ich natürlich ganz besonders stolz bin. Ich kann nicht nur die Seite wechseln sondern mein Gewicht längsschiffs vor und zurück verlagern und, wenn der Winddruck es erfordert, mich sogar mit dem Oberkörper über die Bordwand hängen. Meine Arme bleiben dabei mit der Schot in den Händen stets auf den unteren Block der Talje ausgerichtet. Auf welchem anderen Modell-Segler gibt es schon eine ferngesteuerte Mannschaft, die so wichtige Funktionen wie einen fein abgestimmten Gewichtsausgleich wahrnimmt? Meine sportlichen Aktivitäten an Bord finden daher bei Zuschauern am Ufer immer größte Beachtung.

b005g.jpg
raumer Wind – gut sichtbar die zwei Taljen für Großschot und Niederholer
pfeil-re

Anfang der 90er Jahre erblickte ich im ABS Tiefziehverfahren bei der Firma Robbe das Licht der Welt. Meine Boot, die „Jollie”, war von Robbe ursprünglich als Nachbau der hochsportlichen Laserjolle im Maßstab 1:4 gedacht. Erst später, im Rahmen einer umfassenden Sanierung, wurde sie zu einer Slup umgetakelt. Nachdem wir beide also tiefgezogen das Licht der Welt erblickt hatten, gelangten wir in einem stattlichen Baukasten zur Auslieferung an einen Modellbauhändler im Ruhrgebiet. Vielleicht lag es am vergleichsweise hohen Preis des Bausatzes oder der schlichten Erscheinung der (im Robbe-Original) katgetakelten, unverstagten „Jollie” oder vielleicht auch an beidem. Jedenfalls gab ich beim Händler über viele Jahre den ungeliebten Ladenhüter ab. Der mochte mich zunehmend weniger leiden. Bevor ich gänzlich zur Unkenntlichkeit eingestaubt war, verschacherte er mich vor einigen Jahren für ´nen Appel und ´nen Ei an einen braven Familienvater und Häuslebauer. Dazu drehte er ihm eine billige 3-Kanal-Fernsteuerung an, die den etwas gehobeneren Ansprüchen, die ich und die Jollie nun mal an die RC-Ausrüstung stellen, nie und nimmer genügt. Verkauft und in Heimwerker Hände geraten musste ich miterleben, dass er sowohl im Segelsport als auch im Modellbau ein Leichtmatrose war und mit Fortuna auf schlechtem Fuß stand. Der Zusammenbau missglückte rundherum.


b006g.jpg im Kampf mit der Luvgierigkeit - wie die Stellung der Pinne verrät
pfeil-li

Um dem Ganzen die Schaumkrone aufzusetzen ließ er die „Jollie” eines Tages sogar aus größerer Höhe auf das Heck fallen. Bei diesem Sturz rissen Spiegel und Abrisskante ein. Die langen Bruchstellen reparierte er anschließend so großzügig wie uneben mit reichlich Stabilit. Ihr wisst ja, dass Stabilit nicht dauerhaft wasserfest ist. Ein Unglück kommt bekanntlich selten allein und die Baufehler häuften sich. Zu seiner Ehrenrettung lässt sich vielleicht sagen, dass dem Robbe-Baukasten schon ab Fabrik eine Reihe von Tücken innewohnen, die, Ihr könnt es Euch sicher denken, unserer Heimwerker in seiner Ahnungslosigkeit allesamt 1:1 übernahm. Ach hätte er nur den Bericht von Ferdinand G. Paul in der Schiffsmodell 4/97 gelesen. Doch wäre er sicherlich selbst dann mit dem Bau überfordert gewesen. Denn als die „Jollie” schließlich, jedenfalls nach seinem ersten Dafürhalten, nahezu segelfertig aufgebaut war, machte er die böse Feststellung, dass er den Bauplan nicht richtig verstanden hatte. Das für mein Funktionieren entscheidend wichtige Bauteil hatte er um 180 Grad falsch herum in die Plicht eingeklebt und positioniert.
b007g.jpg
da hebt sie ab
pfeil-re
Mit dieser peinsamen Entdeckung nahm seine Modellbaubegeisterung ihr endgültiges Ende. Noch bevor ich erstmalig offenes Wasser zu sehen bekam stand ich samt „Jollie” erneut zum Verkauf. Dieser Form modernen Sklavenhandels vermochte ich mich nicht zu erwehren. Und so fand ich mich neben manch anderem traurigen Bastelwrack bei einem bekannten Internetauktionshaus in der Sparte Modellbau wieder. Unter dem Angebot prangte ein überbelichtetes, farb- und kontrastarmes Bild von mir und der „Jollie”, das wenig dazu angetan war, Kaufbegeisterung zu wecken. Im Angebotstext lasen die Kaufinteressierten etwas von einem „reparierten Bruch” und „womöglich geringfügigen Restarbeiten”. Diese nebulösen Andeutungen wurden von der Mehrzahl der Interessenten wohl ganz zutreffend interpretiert, weshalb sie die Finger von der Tastatur ließen. Eines Tages las Ralph das Angebot und gab auf gut Glück das Mindestgebot ab. Er glaubte, am Ende der Auktion überboten zu werden. Groß war die Verblüffung als er erfuhr, dass sein Gebot bis zum Ende der Auktion gehalten hatte. So geschah es, dass Ralph für 80,- € zu einer unbenutzten 3 Kanal Fernsteuerung und einem ungesegelten Bastelwrack samt meiner Wenigkeit kam. - Was der Ralph dann so alles über den lieben langen Winter werkelte bis wir endlich Lossegeln konnten, das erfahrt ihr demnächst hier von ihm selber.

Übrigens,
die Jungfernfahrt habe ich schließlich doch noch überlebt. Der Seenotrettungsdienst kam gerade noch rechtzeitig. Konkret handelte es sich dabei um den schwimmenden Ralph, der mit einer Kenterung nicht gerechnet hatte und zur Gaudi einiger Spaziergänger nur mit Unterhose bekleidet ins kalte Wasser gestiegen war.

Soviel für heute!
Euer
Kalle


Ralph Sutthoff

Seitenanfang Baukastenmodelle Neustart der Seite button7.gif