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04.2004


a: Relief Der Ablauf Vollplastische Körper Fertigung Form Fertigung Werkstück Betrachtungen Exkurs Dekorationen
erschienen in MODELLWERFT 09/2003

Vereinfachtes Gießen von Verzierungsteilen
von Günter Bossong


a: Relief

Es klingelt. Während ich die Wohnungstür ansteuere, überzeugt mich die gleichmäßige Wiederholung des Klingelzeichens davon, daß ich die Richtung ändern muß. Am Telefon angekommen, strömt ein freundliches Grunzen aus der Muschel und endet mit dem Satz:
"Bist du wieder zur Tür gerannt?"
"ja, du hast ja Recht", sage ich. "Eines schönen Tages kaufe ich mir eine andere Türglocke - oder ein anderes Telefon."
"Aber vorher", meint mein Kumpel, "muß ich dich noch was fragen. Ich bin gerade dabei, ein kleines Ornament zu vervielfältigen. Dabei ist mir dein Gießartikel (MODELLWERFT 8/99) in die Finger gefallen. Hast du nicht etwas weniger Umständliches auf Lager als diese Schinderei."
"Doch, habe ich. Jedoch läßt sich dieses Verfahren nur anwenden bei Teilen mit glatter Rückseite, und vor allem ist die Qualität des Ergebnisses nicht immer garantiert."
"Schieß mal los", sagt er, "ich versuch's auf jeden Fall."

Aus dem Telefongespräch ist dann ein Blatt Papier geworden.

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Abb. 2:
Das Heck der "Royal Caroline"

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button4.gif Der Ablauf -.-   
  1. Das Modell (eins oder mehrere) auf eine Glas- oder Plexiglasplatte legen und mit einem Damm aus Knetgummi umgeben. (Abb. 1). Damit die Modellteile nicht aufschwimmen, müssen sie mit ein paar Weißleimpunkten befestigt werden. Besonders bei filigranen Teilen ist es wichtig, daß die Rückseite gut anliegt, damit sie nicht von der Formmasse unterwandert wird.
  2. Zuerst wird ein geringer Teil des Silikonkautschuks über das Modell gegossen und mit einem Pinselchen vorsichtig auf dem Modell verstrichen. Der eingedämmte Bereich wird dann so weit vollgegossen, daß die Masse ca. 2 mm über der höchsten Stelle des Modells steht.
  3. Nach der Aushärtung wird der Damm entfernt, die Form abgehoben und mit der Rückseite auf die Platte gelegt.
  4. Der jetzt folgende Gießvorgang heißt nur so. Tatsache ist, man nimmt ein Stäbchen und füllt die einzelnen Formbereiche tropfenweise an. Der Schleudereffekt wird durch eine abgestumpfte Stopfnadel ersetzt. Mit der stochert man ein bißchen in den kritischen Bereichen herum, um so eine lunkerfreie Füllung zu erreichen. Bei der Füllung verhält sich das mit Härter versetzte Harz in diesem Falle mal genau wie erwartet: Die Gießmasse schließt sich an die Ränder waagerecht an. Das Harz kriecht weder am Rand hoch, noch bildet sich ein Dom. Wenn es aber überläuft, läßt sich das Harz mit einem Messer abstreifen, so etwa wie man ein Butterbrot schmiert.
  5. 5. Nach 20 bis 24 Stunden ist das Harz vollkommen ausgehärtet und das Ornament kann entformt werden. Eine Anzahl von auf diese Weise zustande gekommenen Verzierungselementen bilden die Ornamentleisten über und unter der Fensterreihe (Abb. 2). Falls die Verzierung für eine gebogene Anlagefläche gedacht ist, entnimmt man den Abguß schon nach etwa sieben bis acht Stunden. So läßt sich das Ornament noch nach Belieben verbiegen (siehe hierzu auch den Abschnitt "b").
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Abb. 1.
Vereinfachter Relief-guß, Operation 1-4
a: Glasplatte, b: Knetgummi
c: Modell, d) Gießmasse
Abb. 3:
Heckfiguren.
Abb. 4:
Ein vereinfachtes Gießmodell.


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button4.gif b: Vollplastische Körper -.-   

Zum Thema der vollplastischen Körper hat mich niemand befragt. Ich mußte mich ganz einfach dazu äußern. Es ist auch keine Vereinfachung des im oben angeführten Artikel beschriebenen Verfahrens, sondern eine Vereinfachung des Modells mit Verformung des Abgusses.

Als "klassisches" Beispiel haben sich die vier kleinen Seeungeheuer am Heck der "Royal Caroline" angeboten (Abb. 3). Je zwei sind gegeneinander verschoben, und die Schwänze sind einmal rechts und einmal links herum geringelt. Zum Abgießen müßte man in jedem Fall zwei Modelle schnitzen. Nicht nur, daß der geringelte Schwanz den Schnitzer auf eine harte Probe stellt, auch der Gießvorgang ist äußerst kompliziert. Das anschließend dargestellte Gieß-Biege-Verfahren erleichtert beide Vorgänge: Der Schwanz des Modells ist nur in einer Ebene gebogen und wird damit zu einem unproblematischen Schnitzteil (Abb. 4). Durch die einfache Biegung ist das Modell symmetrisch und somit mit einer einfachen zweigeteilten Form zu gießen (Abb. 5). Der Fuß, auf dem unser Fischlein ruht, hat drei Funktionen:

  1. dient er als Haltesockel beim Schnitzen,
  2. läßt er sich an der Formkastenwand befestigen und bringt so das Modell in die gewünschte Position, und
  3. bildet sich - quasi als Nebenwirkung - der Gießtrichter
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Abb. 5:
Eine einfache zweigeteilte Form.
M = Modell mit Fuß,
T = Trennfläche,
0 = Form-Oberteil,
V = Form-Unterteil.

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button4.gif Fertigungsablauf der Form: -.-   
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Abb. 6:
Aus einem symmetrischen Modell sind
Ringelschwanzabgüsse geworden.
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  1. Befestigung des Modells an einer Stirnseite des Formkastens und Vollgießen bis zur Trennfläche.
  2. Nach Aushärtung Modell entnehmen, Trennfläche mit Trennmittel besprühen und Modell wieder einlegen.
  3. Formkasten voll gießen, aushärten lassen und Modell entnehmen.

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button4.gif Fertigungsablauf des Werkstücks: -.-   
  1. Gießtrichter mit Epoxydharz füllen, schleudern und etwa sieben bis acht Stunden härten lassen.
  2. Nach dieser Zeit ist der Gießrohling so weit gehärtet, daß sich das Stück vorsichtig aus der Form nehmen und beliebig verbiegen läßt. Jetzt muß man den Rohling beobachten und wenn nötig nachbiegen, weil er dazu neigt, wieder in die Originalform zurückzugehen. Wenn man die Härtezeit wesentlich ausdehnt, läßt sich das Stück zwar besser handhaben und auch noch gut biegen, doch leider verstärkt sich der vorher erwähnte Federeffekt so sehr, daß man die Krümmung binden müßte. Es sei noch darauf hingewiesen, daß die Aushärtezeit (7-8 Stunden) in Abhängigkeit von Temperatur und Mischverhältnis variieren kann und somit gegebenenfalls nach den Erfahrungen des ersten Abgusses geändert werden muß. Abb. 6 zeigt die Endprodukte, bereit, sich auf ihre endgültigen Plätze zu katapultieren. Da sitzen sie nun, die Seeungeheuer mit säuberlich geringelten Schwänzen, auf einer Heckkonsole der "Royal Caroline" (Abb. 2).

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button4.gif Betrachtung am Rande -.-   

Wen sich jemand fragt, warum es in unserer High-Tech-Welt immer nur die primitivsten Einrichtungen sind, die der Autor vorstellt, gibt es zwei Antworten: Jemand, der im High-Tech-Bereich zu Hause ist, kann sich sowieso helfen bzw. auf einer Primitivlösung aufbauen. Und zum Zweiten liegt das gedankliche Gewicht im Ursprung: Unsere Formel-1-Wagen würden nie fahren, wenn nicht mal ein Berserker auf den Gedanken gekommen wäre, ein Loch in die Mitte einer Baumscheibe zu bohren.


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button4.gif Exkurs -.-   

Neben den beiden behandelten Elementen sind auf Abb. 2 noch ein paar weitere Figuren versammelt. Jede hat eine eigene, aus Schwierigkeiten zusammengesetzte Entstehungsgeschichte. Das hängt hauptsächlich damit zusammen, daß der Autor auch nicht zu den Begnadeten gehört, die eine in der Vorstellung vorhandene Figur dadurch erreichen, daß sie einfach alles Material abtragen, das nicht dazugehört.

fib-03-14-b07.gifAbb. 7:
Blick zum Ruder.
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Ein gerüttelt Maß dieser Schwierigkeiten hat sich bei der Maid mit der Fanfare auf der Backbordkonsole zusammengefunden: Angefangen hat alles damit, daß die Jungfrau schräg auf ihrem Portal steht und somit in der Modellansicht zweimal aus einer Ebene von 45 Grad zu sehen ist. Man stelle sich ein Bauteil vor, nicht wie üblich in Vorder- und Seitenansicht dargestellt, sondern gezeichnet und bemaßt in zwei Ansichten aus der 45Grad-Perspektive. Und dann guckt die Backbordmaid auch noch interessiert nach unten in Richtung Ruder. (Abb. 7) Das war für meine Vorstellungskraft zu viel, und so habe ich sie einfach geradeaus gucken lasen. Der aufgerichtete Kopf harmonierte aber irgendwie nicht ganz mit dem durch den Seitenblick leicht geneigten Hüftbereich. Das machte sich allerdings erst bemerkbar, als ich mich schon ziemlich nahe an die Figur herangearbeitet hatte. Der leichte Knick war zu einem ausgewachsenen Hüftleiden mutiert. Trotz noch vorhandenem Aufmaß war dem mit dem Messer nicht mehr beizukommen. Bei der Wahl zwischen Entsorgung und Notoperation fiel die Entscheidung auf die Chirurgie. Ich habe also ein Bein eingesägt, gebrochen und dann einen Keil eingesetzt, das zweite erneuert und angeklebt. Nach gelungener Operation ging's dann ganz gut voran.

Fertig gestellt bis auf die Feinheiten, habe ich die Figur dann noch mal - scheinbar einmal zu wenig - auf ihrem Podest angepaßt. Sie machte sich ganz gut, nur die Fußstellung entsprach der einer gerade stehenden Person. Die Schräglage jedoch erforderte eine stark gebogene Fußspitze. Somit mußte die Bedauernswerte noch einmal auf den Operationstisch. Das alles war eine Anhäufung von kleineren Arbeitsunfällen. Das dicke Ende kommt jetzt: Daß bei mir immer wieder wichtige Dinge plötzlich verschwinden, hat nichts mit Magie zu tun, das liegt an meinem chaotischen Arbeitsstil. So verschwand auch die Fanfarenbläserin während der Feinbearbeitung.

Nach dem Erkennen eines solchen Verlusts geschieht für gewöhnlich Folgendes: Ich suche zuerst aufgeregt und konfus - meist ohne Erfolg. Dann kommt meine Frau Hildegard ins Spiel mit einer ihr angeborenen Fähigkeit, von mir verschlotterte Gegenstände aufzustöbern. (Der Engländer hat dafür sogar einen Namen: "serendipity").

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Abb. 8:
Lötspitze.
R = Reibbereich.
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Das wäre wahrscheinlich auch diesmal so abgelaufen, wenn ich nicht den verwünschten Satz gesagt hätte: Es fehlt nur noch, daß jemand drauftritt." Das letzte Wort fiel zusammen mit einem kaum vernehmbaren Geräusch von unten. Gleichzeitig meldete mein Fuß eine Unebenheit im Teppich. Jede der beiden Wahrnehmungen einzeln betrachtet wäre wahrscheinlich völlig harmlos gewesen, aber das Zusammentreffen der beiden ließ eine unangenehme Vorahnung aufkommen und verdichtete sich schnell zu einer niederschmetternden Erkenntnis: Ich hatte eine Wochenproduktion mit meinen eigenen Füßen zertreten! Nachdem der erste Schock verflogen war und ich die Leichenteile aus dem Teppich geklaubt hatte, wurde es schon wieder heller. Es waren zwar beide Beine abgebrochen, aber alles glatte Brüche und mit der Erfahrung, die ich mittlerweile als Notarzt gesammelt hatte, war das absolut reparabel.

Übrigens: Die Fanfare konnte nicht abbrechen, die war ein Drehteil, das ich ihr nach der Fertigstellung in die Hand gedrückt habe. Die Moral von der Geschichte: Wem Ähnliches widerfährt, sollte sich nicht gleich in sein Schnitzmesser stürzen.


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button4.gif Dekoration des unteren Heckbereichs -.-   

Die gerundeten Bereiche neben der Ruderöffnung waren beim Vorbild wahrscheinlich nur bemalt. Das Prädikat "nur" gilt natürlich nur für die Maler unter uns. Die übrigen - mich eingeschlossen - haben schon die größte Mühe, die vom Plan vorgegebene Skizze des Ornamentes zu übertragen. Hier ist wieder Technik gefragt. Was ehemals mit Pauspapier und Stift geschah, erreicht man jetzt viel exakter mit Fotokopie und Bügeleisen. Das Bügeleisen wird im vorliegenden Fall durch die Rückseite einer gebogenen Lötkolbenspitze ersetzt (Abb. 8). Dafür gibt es zwei Gründe: Während eine konvex gewölbte Fläche sowieso nicht mit der geraden Bügeleisenfläche in Kontakt gebracht werden kann, geht bei einer ebenen Holzfläche der Kontakt verloren, weil sich das Holz durch die Wärmeeinwirkung wirft und so die Bildübertragung stellenweise ausbleibt. Dagegen wird das Bild gut und gleichmäßig übertragen durch einen flächendeckenden Reibvorgang mit der auf Abb. 8 gezeigten Lötspitze (wie Rubbeln). Bei dem auf Abb. 2 abgelichteten Heck wurde das Bild auf eine 0,35 mm dicke Buchsbaumplatte übertragen, angesägt und aufgeklebt.

Die Frage, warum man nicht den einfachen Weg geht, das Papier bemalt, ausschneidet und aufklebt, ist schnell beantwortet: Eine Bemalung der Fotokopie resultiert letztlich in einem Gemälde - was es galt zu vermeiden. Und so akribisch man auch mit der Schere umgeht, am Schluß sieht es immer so aus, als hätte man ein Bild ausgeschnitten und aufgeklebt. Buchsbaum hat hingegen einige Vorteile: Es läßt sich mit Seidenmalfarben vorsichtig einfärben, und man kann auch mal was korrigieren. Und wenn menschliche Körperteile wiederzugeben sind, so stimmt auch die Farbe des Buchsbaumholzes so ungefähr.

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Abb. 9:
Nano-Dekupiersäge.
1 = Elektro-Rasierer,
2 = Führungsbügel,
3 = Zwillings-Stangenführung,
4 = Tisch mit zweigeteilter gehärteter Sägeführung,
5 = Führungsröllchen,
6 = Halteausleger.
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Für diejenigen, die bei dem Wort "ausgesägt" die Nase gerümpft haben, folgt jetzt eine Geschichte um diesen Sägevorgang: Es muß so zwanzig Jahre her gewesen sein, als meine Unzufriedenheit mit meinem in Betrieb befindlichen Elektrorasierer so anwuchs, daß er sich eines Morgens in der Krumelskiste wiederfand. Auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld habe ich ihn noch einmal eingesteckt. Allein das Geräusch lieferte einen eindeutigen Hinweis: Eine Säge! Und genau das ist aus ihm geworden (Abb. 9). Die Bewegung wird auf einen Schlitten übertragen und das Sägeblatt über dem Tisch in ein im unteren Bereich flachgedrücktes Röhrchen geführt. Die Vibration wird durch einen schweren Unterbau bzw. durch Befestigung auf der Tischplatte aufgefangen. Nach den ersten euphorischen Einsätzen stellte sich jedoch heraus, daß dieser "Nano-Dekupiersäge" schon bei einer Buchsbaumbrettdicke von 0,8 mm die Luft ausging. Und das war denn auch der Grund, daß das Sägewunder die letzten beiden Jahrzehnte in einer Kellerecke zubrachte - bis zu diesem Sondereinsatz. Bei Brettstärken von 0,6 mm sägt sie nicht nur entlang des Striches, ohne daß der Rohling bricht oder abspleißt, das Sägeblatt arbeitet auch im rechten Winkel zur Kontur, ähnlich einer Feile. Ohne dieses Hilfsmittel hätte ich noch auf meine alten Tage eine Kunstakademie besuchen müssen. Eine fotografische Darstellung meiner Nanosäge ist hier unterblieben, um mich nicht bei den Werkzeugspezialisten in Mißkredit zu bringen.


Günter Bossong
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