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Baupraxis
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erschienen in MODELLWERFT 12/2005
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„Uräus”

"Erweiterung" einer "Dulcibella" zum Lateinersegler
Baubericht von Mario Schwarz

Ein ägyptischer Lateinersegler und sein griechischer Gefährte Poseidon - ein unzertrennliches Gespann, Segen für viele Seefahrer. Das Lateinsegel ist ein dreieckiges Segel, das im Gegensatz zum Rahsegel an einer in Längsrichtung zum Schiffsrumpf verlaufenden, nach oben weisenden Stange (Spiere) angebracht ist. Seit der Antike sind arabische Daus und die ägyptische Feluke mit dem typischen Dreieckssegel aufgetakelt. Aber wie funktioniert die legendäre Dreieckssegeltakelage? Mit dieser Frage im Reisegepäck suchte ich bei einem Besuch auf dem Nil nach der richtigen Antwort. Und oft ist eine Antwort einfacher, als man glauben mag. Die sehr alte Technik des Lateinerseglers erforderte zu meinem Erstaunen häufig nur eine Person, auch wenn ein zweiter Mann mit an Bord war. Nicht bestätigt fand ich das Vorurteil, das die Wende oder Halse bei dieser Technik nur mit großem Aufwand möglich sei. Den Umgang mit einer Feluke habe ich ausführlich in Assuan getestet, begünstigt von warmem Wind und einer senkrecht stehenden Sonne, vor der sich das aufrecht vor dem Horizont stehende Dreieckssegel blähte wie eine Schatten spendende Wolke. Die Segelfläche immer richtig zum Wind gestellt, so zeigten sich mir die Lateiner im Orient. Nach der Rückkehr nach Hause war für mich klar, daß als nächstes Modellbauprojekt ein Lateinsegler in meine Werkstatt kommt.

Im Rahmen der Jugendboot-Gruppe des Schwäbischen-Alb-Vereins Unterensingen unter der Führung von Uwe Kreckel und Fritz Issler sollten zwölf Jugendliche im Alter von zehn bis zwölf Jahren an den Modellbau von RC-Segelbooten herangeführt werden. Da die erste Variante eine Ketschtakelage war, entstand im Vorstellungsgespräch die Idee, eine weitere einfache Takelageart auf den Grundrumpf zu übertragen.

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"Uräus" mit achterlichem Wind "Uräus" am Wind

Gesagt, getan. Nun, der Rumpf war derselbe wie bei der "Dulcibella". Aus dem überhängenden Rumpf einer klassischen Yacht mit Knickspantenbauweise einen Spiegelheckrumpf zu machen, war schnell getan. Die Verkürzung des achterlichen Überhangs zum Spiegelheck verlieh dem Rumpf neue Möglichkeiten. Über zwei Drehangelscharniere am Heck, die mit einem Spatenruder versehen waren, wurde die Ruderwirkung wesentlich verbessert. Sie wurden noch mit einer Pinne versehen, und fertig war die kleine Rumpfänderung.

Bei den Feluken befindet sich das Ruder ebenfalls am Heckspiegel und ist dort sehr flach angeordnet. Das Paddelruder reicht nur so tief ins Wasser, wie das Boot am Heck Tiefgang hat, da die Sandbänke sonst das Ruder streifen oder gar zerstören würden. In Frankreich hingegen werden die senkrechten Spatenruder eingesetzt. Das Ruderblatt wird nach Verlassen der Untiefe eingehängt und dann das Segel dem Wind überlassen. Bei extremer Schräglage taucht das Ruderblatt so nicht allzu weit aus dem Wasser, was den Wirkungsgrad erheblich verringern würde. Auf dem Nil gab es jedoch keinen so hohen Wellengang, daß es das Ruder aus dem Wasser heben hätte können. Die Kräfte am Boot werden über einen weit im Vorschiff stehenden Mast aufgenommen. Dies wurde für das Modell übernommen. Der Segeldruckpunkt der Ketschtakelage befindet sich bei den beiden Varianten an zwei verschiedenen Punkten.

Schon allein dadurch ist die Mastposition bei meiner Lateinerseglerversion eines Jugendboots zu korrigieren gewesen. So wanderte der Segelschwerpunkt mit dem nach vorn versetzten Mast wieder an die notwendige Position. Bei den Lateinerseglern befindet sich der Segelschwerpunkt durch die hoch aufragende Fläche weit vorn. Einmal in den Wind gestellt, sucht sich das Boot die, beste Richtung zum Wind und nimmt spontan Fahrt auf, sobald der leiseste Hauch über die Wasseroberfläche kommt.

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Einteilung im Rumpfinneren

Die Steuerung des Boots erfolgt zu zwei Dritteln mit dem Segel. Dies muß nun technisch im Modell umgesetzt werden. Dazu dienen zwei Servos und ein drittes, sehr kräftiges Powerservo oder eine Eco-Winde von Graupner. Für das Ruder reicht ein einfaches Standartservo C 507. Um Gewicht einzusparen, wurde ein Servo mittlerer Baugröße mit entsprechend gleicher Stellkraft verwendet, sodann in meinem Fall die Eco-Winde mit einer Umlaufschot für die Großschot und die in das Vorschiff oberhalb des Decks ragende obere Spiere, die je nach Segelkurs und Stellung des Segels mehr geöffnet oder am Wind dicht geholt wird. Die Hebelarmstellung auf dem Servo bei maximal dicht geholter Position kommt aus einem Bowdenzugröhrchen, das mit der Drehachse des Hebels zur Hebelspitze hin fluchtet. So muß nicht der Servomotor mit Strom gegenhalten, sondern die Zugkraft liegt genau auf der kugelgelagerten Servoarmdrehachse, quasi selbst sperrend im Endanzugspunkt.

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Da der untere Baum am Unterliek wie bei den Feluken auf dem Nil keinen Niederholer besitzt, regelt der Winddruck die maximal in den Wind gestellte Segelfläche. Das Segel richtet sich vor dem Mast auf wie ein senkrecht prall gefüllter Kissenbezug, annähernd wie ein Leinenbettbezug an einer Wäscheleine im Wind. Weht der Wind etwas, bläht sich das Ganze auf. Wird der Wind zu stark, hebt das Tuch den unteren Baum an und verringert so die Angriffsfläche, was wiederum den Vorteil hat, daß unser Boot im kritischen Fall sich maximal anpaßt. Das ist der Fall, wenn sich das Segel auf der so genannten "guten Seite" befindet. Wechselt der Kurs und der Wind kommt von der anderen Bootsseite, funktioniert es genauso. Das Segel drückt gegen den Mast. Man spricht hier von der "schlechten Seite". Die Wölbung des Segels ist dabei vom Mast eingeschnitten und unterbricht die Profilwölbung, was einen geringere Fahrtgeschwindigkeit mit sich bringt. Auch bei einer Extremwetterlage verhält sich die schlechte Seite wie die gute Seite: Die angestellte Segelfläche verkleinert sich, sobald der Winddruck überhand nimmt. Nur die Sogwirkung ist bei der an den Mast gelehnten Segelstellung etwas weniger. Und somit schlechter.

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Alles in allem hat das Lateinersegel auf der guten Seite im Vergleich zur Ketschtakelung den großen Vorteil, daß die Handhabung deutlich einfacher ist, mehr, als man glauben mag. Bei Schebecken und Fischerbooten ist ein Übergeben des Segels vor dem Mast oder hinter dem Mast zugegeben umständlich. Dieses Über- bzw. Durchreichen ist mit technischem Aufwand verbunden, den ich hier nicht umsetzen wollte. Im Orient und auf dem Nil ist die Segeltechnik seit langer Zeit einfacher und funktioniert ohne Übergeben.

Doch ist die Dreiecksform in der arabischen Seefahrt allmählich optimiert worden. Die christliche Seefahrt hat sich dieser Segelform auch angenommen und im Mittelmeer ein zusätzliches Vorsegel verwendet. Im Lauf der Zeit ergab sich eine Vielfalt unterschiedlicher Anwendungen. "Uräus" ist sinngemäß aus dem Ägyptischen übersetzt und bedeutet "die sich Aufbäumende" - als Symbol an den Kronen der Pharaonen zu sehen in Form einer Kobra. Diesen Schutz hat mein kleiner Lateinsegler schon des Öfteren genossen. Und diese einfache und doch zweckmäßige Form der Takelalge ist auch in einem Modell mit nur 70 cm Bootslänge realisierbar.


Mario Schwarz

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